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Frage 8-9: Es gibt im chinesischen Volk traditionell Vorstellungen von einem wünschenswerten Tod. Aber die heutigen Diskussionen über Sterbehilfe haben diesen Vorstellungen einen Stoß versetzt. Wie stehen die Chinesen zur Sterbehilfe?
Veranstaltung zur Ehrung der Senioren in Guangzhou
Antwort: Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts begann man in China, sich mit Fragen der Sterbehilfe eingehender zu befassen. Grund dafür waren viele neue Möglichkeiten, Krankheiten zu behandeln. Darüber entstanden natürlich auch Diskussionen über Inhalt, Ziel und Form von Behandlungen. Die Sterbehilfe ist ein neueres soziales Problem, das immer mehr Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Diskussionen und Forschungen zur Sterbehilfe dauern in China seit langem an, ohne das es bisher zu abschließenden Wertungen gekommen ist.
Beim Sterben zu helfen bedeutet zunächst für einen Arzt, die individuelle Entscheidung eines Kranken zu akzeptieren, sein Leben zu einem selbst gewählten Sterben beenden zu wollen, weil dem Kranken ein Weiterleben schwerer Krankheiten und großer Schmerzen wegen nicht mehr erträglich ist. Eine solche Entscheidung ist Bestandteil fast aller bisherigen Zivilisationen. Hinter dem Begriff "Sterbehilfe" verbirgt sich allerdings ein universales soziales Problem, das viele Bereiche gesellschaftlichen Seins tangiert: Medizin, Ethik, Soziologie, Philosophie, Jura usw.. Darum ist eine lange Diskussion über Sterbehilfe unvermeidlich, was momentan gerade in China geschieht.
Das Streben nach einem "guten Tod" hat in China eine lange Tradition. Man erkennt das an Redewendungen wie "sanft entschlafen" oder "das Leben sanft beschließen", die Wünsche für das Hinscheiden ausdrücken. In unserer Zeit, da die Reform- und Öffnungspolitik alle Bereiche unseres Lebens beeinflusst und verändert, wandeln sich auch Moralnormen und allmählich bilden sich neue Moralvorstellungen heraus. Was die Sterbehilfe betrifft, ist zu beobachten, dass immer mehr Menschen zu der Ansicht gelangen, eine Sterbehilfe sei durchaus mit unserer Moral und dem Prinzip der Humanität vereinbar. Darum akzeptieren de facto bereits heute viele Menschen eine Sterbehilfe. Nach einer Umfrage sprachen sich 73% von 200 befragten älteren Menschen in Chinas größter Stadt, Shanghai, für eine Sterbehilfe aus. In Beijing meinten über 85% der Befragten, Sterbehilfe entspräche durchaus den Grundsätzen der Humanität. Über 80% glauben, Sterbehilfe sollte bereits jetzt in China legalisiert werden. Nur 5% der Befragten vertraten eine gegenteilige Meinung. Sie sind für ein absolutes Verbot von Sterbehilfe.
Obwohl viele Menschen eine Sterbehilfe befürworten, sieht sich die chinesische Regierung mit vielen komplizierten Problemen bei einer Legalisierung der Sterbehilfe konfrontiert. Erstens, aufgrund der riesigen territorialen Ausdehnung Chinas gibt es einen gewaltigen Unterschied beim Niveau der medizinischen Behandlung in den verschiedenen Gebieten unseres Landes. Nur in Gebieten, die ein bestimmtes Niveau der medizinischen Bedingungen erreicht haben, könnte man einigermaßen zuverlässig definieren, was unter "unheilbaren Krankheiten" in der modernen Medizin zu verstehen ist. Zweitens, da es in China viele Nationalitäten leben, gibt es relativ große Unterschiede der Kulturen, der Sitten und Gebräuche zwischen den verschiedenen Nationalitäten. Darum ist die Akzeptanz für die Sterbehilfe von Nationalität zu Nationalität auch sehr unterschiedlich. Von den in China vorherrschenden ethischen Vorstellungen und der gegenwärtigen Gesetzeslage ausgehend, gibt es zur Zeit keine Voraussetzungen für eine legale Sterbehilfe. Ein längerer zeitlicher Prozess ist notwendig, bevor die Chinesen die Sterbehilfe akzeptieren werden. In absehbarer Zeit besteht dafür kaum Aussicht.
Trotzdem hat die Diskussion um die Sterbehilfe dazu geführt, die traditionelle Vorstellung vom Sterben neu zu hinterfragen. Die Menschen, die sich tiefer mit dem Sinn ihres Lebens befassen, denken ja auch an das Sterben. Wir stellen uns vor, dass mit dem ständigen Fortschreiten der Gesellschaft auch die Vorstellungen der Menschen sich ständig wandeln und erneuern. Wer rational an das Sterben denkt, wird das Leben als wertvoll schätzen und bewusster sein Leben auskosten.